Die letzte Etappe war die kürzeste, knapp 23 km. Nichts im Vergleich zu den sieben davor. Für 75 bis 100 km ging es jeden Tag auf den Sattel. Es waren daher nicht immer die Beine, die am Abend schmerzten, wenn man nach acht Stunden vom Rad steigen konnte. Manchmal waren es auch zehn Stunden und die Dämmerung setzte schon ein, obwohl es Anfang Juni war.
40 Schülerinnen und Schüler, fünf Lehrer und eine Lehrerin, dazu zwei Väter von mitfahrenden Schülern, zusammen 48 Personen, starteten am Dienstag, 4. Juni 2024, vom Hauptbahnhof Saarbrücken zu einer Tour, die manche an den Rand ihrer Kräfte brachte. Ziel war die Hauptstadt des Nachbarlandes Frankreich, die in wenigen Wochen Gastgeberin der olympischen Spiele sein wird. Und in diesem olympischen Geist machten sich alle auf den Weg, die 600km zu bewältigen. Dass nicht die direkte Strecke gewählt wurde, lag darin begründet, die von der Autobahn und TGV-Bahnlinie bekannten endlosen Weizen- und Zuckerrübenfelder zu umfahren. Auch endete der ein oder andere Trail unvorhergesehen in Wald, Wiese und Morast und führte zu langen Umwegen. Zudem wollte man einige landschaftliche und historische Highlights ansteuern, so z.B. das Wasserschloss von Chantilly, die Märchenburg von Pierrefonds, die Weinberge der Champagne, die Argonnen und das Montagne de Reims.
Zwei Jahrgänge, die Stufen 9 und 12, waren vertreten und mussten sich zu einer „Fahrgemeinschaft“ zusammenfinden, was bereits am zweiten Tag und mit vielen Aufmunterungen und Hinweisen gelang. „Mit fast 50 Leuten auf Tour zu sein, ist gar nicht so einfach“, meint Anneka. „Es sind Fahrregeln einzuhalten, auf verkehrsreichen Straßen muss man das Fahren in der Linie einüben, den hinteren Fahrerinnen und Fahrern Zeichen zum Anhalten und zum Ausweichen weitergeben“. Thomas Alt, Sportlehrer und Schulleitungsmitglied in Marpingen, organisierte zum siebten Mal diese Tour, die üblicherweise in die Alpen führt. „Die olympischen Spiele in Paris sind eine einmalige Gelegenheit, diesmal den relativ nahen Austragungsort anzufahren.“ Doch wer glaubte, dass Ostfrankreich keine Bergetappen parat hält, hatte sich getäuscht. Es waren zwar keine kilometerlangen Anstiege wie im Hochgebirge, doch das stete Auf und Ab, das sich bei einigen Etappen auf 600 Höhenmeter addierte, machte vielen das Fahren schwer. Kleine Blessuren waren am Tag darauf meist schon überstanden, und je näher das Ziel rückte, umso stoischer wurden die Strapazen ertragen. Die Leistungsstärkeren starteten immer mit zeitlicher Verzögerung, der Respekt vor der vorausfahrenden langsameren Gruppe war Ehrensache, keiner der flotten Radler überholte. So konnten auch schwächere Fahrer/innen im eigenen Tempo, ohne Druck, abgehängt zu werden, vorankommen und das Ziel erreichen. Die Einfahrt in Paris über den Canal St-Martin wurde am 10. Juni, nach sieben Tagen on the road, mit einem Riesenapplaus und Erleichterung gefeiert.
Neben dem sportlichen stand der soziale Aspekt im Mittelpunkt. Unterschiedliche Gruppen waren in Eigenregie verantwortlich, über eine Rad-App die Fahrtstrecke auszuarbeiten, andere kümmerten sich um die Verpflegung, andere um das reibungslose Aus- und Einladen der beiden Begleittransporter. Besonders wichtig war die Versorgungsgruppe. Auf einen Gaskocher wurden Nudeln, Reis und Nudeln zubereitet, stets in leichter Variation, und immer zur Zufriedenheit aller. Eine Finanzgruppe hatte bereits lange vor der Fahrt mögliche Sponsoren kontaktiert, hatte stets das Budget im Auge und rechnete selbstständig die Kosten ab. Auch an die Dokumentation war gedacht: Streckenverlauf, Bilder und kleine Videos wurden unmittelbar hochgeladen und in den sozialen Medien geteilt, sodass man von zu Hause die Strecke und all die Emotionen fast live verfolgen konnte. Von diesen Emotionen gab es reichlich: Durchbeißen, kleine Verletzungen, Verzweiflung angesichts kilometerlang einsehbarer Strecken und sich ewig wiederholender Anstiege, aber auch Begeisterung, gegenseitige Unterstützung und Hilfe. Bei den überraschend wenigen Pannen waren die Experten der Technikgruppe sofort zur Stelle und konnten alle Reparaturen, ob Reifenwechsel oder Schaltzugerneuerung, ohne große Zeitverzögerung durchführen. Organisiert wurde alles im laufenden Schuljahr im Seminarfach der Stufe 12, das unter dem Thema Nachhaltigkeit stand und sich in der inhaltlichen Ausgestaltung an den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNO orientierte. So wurden die Anreise nach Saarbrücken wie die Rückfahrt ab Paris mit öffentlichen Verkehrsmitteln durchgeführt. Die Tour selbst verstand sich auch als Werbung für das Alltagsradfahren und bot starken wie schwachen und beeinträchtigten Schülerinnen und Schülern ein individuelles und gemeinschaftliches Erlebnis. Die deutsch-französische Verständigung, der kultureller Austausch und die Friedensbewahrung waren nicht nur beim Etappenziel Verdun Themen der Vor- und Nachbesprechungen. Beim Start am Saarbrücker Hauptbahnhof wie im Ziel unter dem Eifelturm wehte zwischen den Lenkstangen die Europäische Flagge. Schulinterne Fördermaßnahmen, der Schulförderverein sowie das Bemühen, externe Sponsoren zu finden, ermöglichten es, den Preis für die Teilnehmenden im Rahmen zu halten, sodass es allen, auch Kindern aus sozial schwächeren Familien, möglich war, mitzufahren.
Vom Saarbrücken verlief die Strecke über Metz nach Verdun, von dort nach Châlons in der Champagne. Über die Weinberge erreichte man Reims und Soissons, danach Creil bei Compiégne. Über den Canal de l’Ourcq wurde das Zentrum von Paris angefahren. Eindrucksvoll radelte die Gruppe in einer langen Schlange durch die französische Provinz und erregte mehr als einmal Aufsehen. Zwei Bürgermeister in winzigen lothringischen Dörfern notierten die Passage stolz für ihre Jahreschronik und ließen sich gerne mit allen ablichten. An der Marne freute sich das Seniorenheim von Epernay über ein gemeinsames Foto mit den jungen Radlern. Selbst eine amerikanische Reisgruppe zeigte sich in Hautvillers über den Weinbergen der Champagne begeistert und hob das Champagnerglas zu Ehren der Marpingerinnen und Marpingern.
Auch ein Rollstuhl reiste mit. Eine Knie-OP kurz vor dem Start verhinderte Tobias Teilnahme, doch konnte er im Begleitbus mitfahren. Zusammen mit Eddy Schlaup und Dirk Schmeer kümmerte er sich um die Versorgung mit Bananen, Baguette und Nutella an den Zwischenstopps, wo alle sich ausgehungert, aber immer rücksichtsvoll und diszipliniert, auf die Kohlehydrate stürzten.
Nochmal zurück zur kürzesten Etappe. Am Tag 8 ging es per Rad durch die Milionenmetropole, 23 km vom Hotel beim Gare du Nord zur Seine und zu den Hauptsehenswürdigkeiten der französischen Capitale. Das gemeinsame Bild vor dem Eifelturm bildete dann den eigentlichen Abschluss einer Tour, die auch die Sonne im Gepäck hatte. Nur am letzten Tag durchkreuzte ein Regenschauer die ansonsten trockene und oft sonnige Fahrt.
Zum Ausklang ging es noch zwei Tage entspannt durch die Stadt – mit der Metro. Das Fahrrad wurde von den meisten in der Garage des Sporthostels gelassen. Doch neben den Bike-Nerds der Gruppe waren auch andere angefixt, in Zukunft mehr aufs Rad zu setzen. Wer 600 Kilometer nach Paris bewältigt hat, wird sicher auch mit kurzen Strecken in und um Marpingen fertig werden. Allez les jeunes, vive le vélo, es lebe das Fahrrad, wir fahren nach Paris!
Diese Schülerinnen und Schüler waren im Sattel bzw. begleiteten die Tour:
Marlon Spaniol, Hannah Petri, Elias Stoll, Ole Wittig, Emely Mildau, Dion Kirsch, Mara Hoffmann, Danilo Holz, Lylou Alt, Flora Schmitt, Nico Seiler, Justin Ahrens Jawad Almagrabi (alle Stufe 9), Mathias Stoll, Lukas Kuhn, Nike Biehler, Fabian Weber, Tabea Theis, Justine Gläser, Till Schneider, Vanessa Krächan, Sophie Brück, Jakub Abri, Tim Schütz, Connor Schlaup, Franziska Blaumeiser, Ann-Kathrin Berwanger, Leon Lothschütz, Max Wagner, Dustin Klaus, Fabian Helfgen, Fernando Hinsberger, Lena Ecker, Daria Wolf, Anneka Kuhn, Tobias Meyer, Elias Matzietele, Max Klemm, Adrienne Neis (alle Stufe 12).
Als Begleitpersonen waren mit von der Partie: Eduard Schlaup, Gerhard Kuhn, Thomas Alt, Kristina Barnewold, Jan Wagner, Dirk Schmeer, Bruno Kistner und Markus Mörsdorf.